„Slam is the lighthouse for the democratization of art.“ – Bob Holman
Poetry Slam…
…ist ein Wettbewerb der Bühnendichter. Bis zu einem Dutzend Poeten teilen sich über einen Abend dieselbe Bühne, um ihre Texte einem Publikum so aufregend, so mitreißend, so laut und schnell wie nötig und so einfühlend und zuckersüß wie möglich vorzutragen. Das Publikum seinerseits erhält die Jurymacht und bestimmt (entweder im Kollektiv über die Lautstärke des Applauses, oder in Form ausgewählter Publikumsjuroren) Gewinner und Verlierer des Abends.
Slam ist Literatur als Sport. Ein Poetry Slam ist spannend, unterhaltend. Ein Gladiatorenkampf der Redenschwinger. Ein Ringkampf der Alliteraten. Slam ist keine Lesung, denn Slam hat begriffen, wieso Lesungen nicht funktionieren. Slam geht vom gesprochenen Wort aus und nicht von der wirren Idee, dass geschriebene Texte auch vorgelesen funktionieren müssen. Slam ist kein Forum für tiefe Reflektion, für Gedankengänge, deren Sinn sich erst beim wiederholten Aufnehmen herauskristallisiert. Slam ist der Ort für Pathos, für Manifeste, Kitsch und Hasstiraden. Beste Voraussetzungen für moderne Lyrik. Slampoeten brauchen keinen Tisch, um sich dahinter verstecken zu können, weil sie sich ihrer Wirkung auf der Bühne bewusst sein müssen. Slammer brauchen kein Wasserglas, weil Bier, Rotwein und Absinth die Stimme besser geölt halten, und Slammer stehen am Mikrofon, weil wer wirklich was zu sagen hat, der darf dabei nicht sitzen bleiben.
Slamily
Erfunden hat das Format ein Amerikaner, wie könnte es anders sein? Marc Kelly Smith aus Chicago, von aller Welt liebevoll «Slampapi» genannt, hat Slam! nicht nur als Nachbrenner für das vernarbte Konzept der Lesung ausgeheckt, sondern immer auch als Parodie auf den freien Markt. «Wir verabscheuen den Wettstreit und seinen Verbündeten Krieg», heißt es im Slammanifest «Disclaimer» der New Yorker Slamlegende Bob Holman. Die Slammer treten auf der Bühne nicht gegeneinander an, um sich zu zeigen, wer besser ist. Der Wettbewerb dient dazu, dem Abend einen dramatischen Stimmungsbogen zu verleihen, vom «Opferlamm», welches den Abend eröffnet, über das gegenseitige Anpeitschen in den Vorrunden, bis zum glorreichen Finale. Dies macht auch den Gewinner zur Nebensache. Kurz nach dem Sieg ist der Abend vorbei, und der Ruhm überträgt sich höchstens noch auf die Aftershowparty. So gilt neben der Seniorität in der Szene einzig die Platzierung an der großen deutschsprachigen Meisterschaft, als Gradmesser der tatsächlichen Leistung. Der bedeutendste Begriff des Slams ist denn auch nicht etwa ein literarisches Konzept, sondern derjenige der Slamily, der «Familie» der Slammer, Veranstalter und Fans. Mit wenigen Ausnahmen reisen Slammer nicht durch halb Europa, weil sie sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern um sich mit Menschen zu treffen, mit denen sie die Liebe zur Sprache und die Freude am Spiel verbinden.
„The point is not the points, the point is the poetry.“ – Allan Wolf
Literatur?
Natürlich darf man sich fragen, ob denn Slam wirklich noch Literatur sei. Aber die Antwort ist nicht so einfach. Um das Gerücht ein- für allemal zu erledigen: Slam Poetry ist nicht improvisiert, und sie war es nie. Slammer sind Dichter, nicht Improvisationskünstler. Weitere Verallgemeinerungen sind dann schon schwieriger zu machen. Von klassischer zerbrechlicher Lyrik über HipHop-Lyrics über Schnitzelbankreime bis zu ausgefeilten, komprimierten Kürzestgeschichten findet sich alles auf unseren Bühnen. Das Prinzip ist einfach: Qualität ist, was dem Publikum gefällt. Natürlich kann das auch schade sein. Slammer reden über die Dinge, die ihnen wirklich begegnen. Wir reden über Sex und Alkohol, Musik und Filme, durchzechte Nächte und zerschlagene Beziehungen, Drogenmissbrauch und Politiker. Schnell taucht natürlich der Vorwurf auf, Slamtexte seien platt und nicht für die Ewigkeit geschrieben, die Themen der Texte widerspiegeln bloß unseren tristen und obszönen Alltag und transzendieren niemals unsere langweiligen Leben. Das mag sein. Dafür spiegeln sie unsere Zeit so genau wider, wie das kein anderes Genre vermag. Und sie machen Spaß. Mehr können wir von unserer Kunst nicht erwarten.
Etrit Hasler, 06.01.06, Appenzeller Zeitung (gekürzte Textfassung)
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